Warum

 

Warum dieser Blog? Warum dieses Schreiben über Depression? Dieses Seelenlebenreden?

 

  • Weil es mir hilft, hier für diesen Blog, für vermeintliche und tatsächliche LeserInnen, meine Gedanken und Gefühle zu formulieren, eventuell auch zu überdenken, zu verändern, zu überwinden. Negative Gefühle ins Internet und damit auch in die Verbannung zu schicken.

 

  • Weil es mir hilft, meinem Tag und meinem Tun eine gewisse Art der Berechtigung zu geben. Wenn ich für mich und meine Schreibtischschublade schreibe, habe ich nicht das Gefühl, wirklich etwas „gemacht“, „geschafft“ zu haben. In meinem Inneren halte ich – ohne dies bewusst zu wollen – immer noch an dem falschen Glaubenssatz fest, mein Leben hätte nur dann einen Sinn, wenn ich etwas „leisten“, „schaffen“ und „vollbringen“ würde. Wenn ich mit diesem Blog wenigstens ein paar Menschen erreiche, sie mit meinen Texten oder Bildern berühre, sie zum Nachdenken anrege, sogar wenn ich sie mit meiner Meinung verärgere, kann ich meiner Existenz vielleicht doch eine gewisse art der (vermeintlichen?) Berechtigung verleihen.

 

  • Weil es für mich eine Art Ersatz zur Gruppenpsychotherapie ist. Ich habe Probleme zu reden, kann mündlich meine Gedanken schlecht in Worte fassen. Ich habe Angst, vor anderen zu sprechen. Dennoch schätze ich den Austausch mit anderen, für das, was sie sagen, denken, fühlen, meinen. In der „realen Welt“ stecke ich in einer Art Schneckenhaus fest, aus dem Herauszukriechen mir (noch?) die psychische und physische Kraft fehlt. Diesen Blog zu betreiben ist für mich eine Art „aus dem Haus gehen“, mit Leuten „ins Gespräch kommen“.

 

  • Weil ich mit dem Schreiben mein Selbstbewusstsein stärken will. Eigentlich halte ich meine Meinung für unwesentlich und den Beitrag, den ich zu Diskussionen beitragen kann, für klein. Wahrscheinlich ist das gar nicht so und ich will es hier üben, lernen, erfahren. Zudem will ich üben, überhaupt meine Meinung auszusprechen, meine Haltung zu erklären, dazu zu stehen, was ich denke, was ich ich fühle, wer ich bin. Schließlich ist auch das Internet ein öffentlicher Raum.

 

  • Weil in der Öffentlichkeit – trotz tragischer Selbstmordfälle und Outings durch einige Prominente – immer noch zu wenig über psychische Krankheiten bekannt ist. Auch ich hatte „in meinem früheren Leben“ nur eine verschwommene vorstellung von psychischen Erkrankungen. Ich hatte Psychiatrie immer auch mit „Verrücktsein“ assoziiert. Zum ersten Mal im Wartezimmer meiner Psychiaterin war ich erstaunt, wie „normal“ wir psychisch Kranken eigentlich sind.

 

  • Weil über Angsterkrankungen noch viel weniger als über die Krankheit Depression gesprochen wird. Auch mir ist meine soziale Angst immer noch peinlich. Sie ist irrational. Sie macht, dass ich  mich schwach, angreifbar und klein fühle. Dabei leiden doch auch unter einer Angststörung noch sehr viel andere Menschen und die Grenzen zwischen sozialer Phobie und Schüchternheit, die viele Menschen kennen, fließend sind. Doch wenn ich über die Angst rede oder schreibe, so habe ich das Gefühl, dass sie schon einen Teil ihrer Macht über mich verloren hat.

 

  • Weil ich gerne dazu einladen möchte, die Denkmuster und Schubladen mit den Vorurteilen und Vorverurteilungen ein wenig aufzuräumen. Nicht sofort nach dem ersten Eindruck ein festes Urteil über einen Menschen zu fällen, das diesem möglicherweise ganz und gar nicht gerecht wird. Oft frage ich mich, wie viele von den Menschen, die wir als arrogant, unnahbar und überheblich abstempeln, eigentlich an einer sozialen Angststörung leiden. Nicht jeder Nachbar, der niemals grüßt, ist ein unhöflicher Grobian. Oft ist mir inzwischen selbst der Mund verschnürt, gegen meinen Willen, da ich die Regeln der Höflichkeit und des Anstandes beinahe mit der Muttermilch aufgesogen habe. Die Frau, die an einem alten Bekannten vorbeirennt und so tut als sehe sie ihn nicht, ist möglicherweise gar keine oberflächliche Zimzicke, sondern hat Angst vor dem Gespräch. Die Mutter, die ihr Kind mürrischen Blickes aus der Kita abholt und sich niemals auf einen Schwatz mit Erzieher*innen und anderen Eltern einlässt, auf dem Spielplatz und in der Eisdiele immer weit von den anderen entfernt sitzt – ist sie wirklich überheblich oder leidet sie vielleicht an einer Angststörung?

 

  • Weil ich hoffe, dass sich bald auch andere trauen werden, ihre Ängste zuzugeben. Mich erleichtert das ungemein .

 

  • Nicht zuletzt aber: weil ich das Schreiben liebe, das Malen, das Zeichnen. das sind Dinge, die auch zu mir gehören, die mich ausmachen, die ich wirklich gern tue. Und auch die möchte ich gerne mit Euch teilen.

20 thoughts

  1. Und ich dachte spontan, hier zeigt eine Kunststudentin ihre Werke!
    Ich habe gerade die U-Bahn-Bilder durchgeklickt. Du hast großes Talent, Gesichter und manche Geschichten dahinter festzuhalten. Wirklich klasse!
    Nun habe ich hier weitergelesen und wünsche dir, dass du deinen Weg annehmen kannst. Wir können die Steine und Hindernisse darauf nicht immer wegräumen, aber wir können passendes Schuhwerk tragen.
    In diesem Sinne wünsche ich dir ein leicht begehbares Jahr 2019! :-)

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  2. Hallo Agnes,

    ich bin in den letzten Tagen immer mal wieder auf Deinen Blog gekommen und es hat vor allem den Grund gehabt, dass ich Deine Ehrlichkeit genossen habe. Vielleicht liegt es daran, dass mir in der letzten Zeit die Verlogenheit von Menschen besonders auf den Keks geht (bevorzugt das unserer C-Politiker, wenn sie das Christliche hervorheben und die Armen in unserem Land verkommen lassen). Bei Dir ist es anders und es ist übrigens auch Teil meiner Erfahrung, dass man, wenn es einem nicht gutgeht, man sich am nächsten ist. Leider bin ich mir nie so nahe, als wenn es mir schlechtgeht (ich bin gerade dabei, das ändern zu wollen). Vielleicht ist es Deine Depression, die Dich dazu bringt, so ehrlich zu sein (ich nehm es jedenfalls so wahr). Auch auf Blogs treffe ich das selten an – es ist natürlich immer mein subjektives Empfinden.

    Wir sind ja – ich bin von meinem Denken her mythologisch-(ur)religiös orientiert – vor Urzeiten ins Leben geworfen worden, ohne gefragt worden zu sein; jedenfalls denke ich das, und nun haben wir die mühevolle Aufgabe, die Berechtigung unseres Lebens zu erkennen und damit wirklich frei zu werden. Auf diesem Weg bist Du, so empfinde ich es jedenfalls, auch. Für mich habe ich das Gefühl, ich taste mich langsam an eine Freiheit heran, die das Wort wert ist.

    Von unserem Wesen her sind wir auf mitmenschliches Sein angelegt, ohne das immer leben zu können. Wenn man schreibt, hallt es ja in einem selbst, aber auch im Weltinnenraum, wie Rilke ihn bezeichnet. Das ist das, was Du als Berechtigung ansprichst. Deine Ehrlichkeit, so empfinde ich es, breitet sich in den Weltinnenraum aus. Manchmal ist es ja gar nicht in erster Linie der Inhalt, sondern die Stimmungen und Töne, die ihn transportieren.

    Ich finde, dass Du unglaubliche Talente hast. Deine Zeichnungen finde ich einfach genial, wie sie jemanden darstellen, und wenn ich Deine Tierbilder sehe, möchte ich am liebsten, dass Du Kinderbücher für Erwachsene malst und schreibst, denn schreiben kannst Du ja auch toll. Oder ich könnte mir vorstellen, dass Du Fabeln wieder belebst, wenn Deine Katzen mit anderen Tieren sich zum Beispiel über Menschen unterhalten oder über Tiere und Menschen und wie Tiere finden, dass Menschen mit ihren Möglichkeiten umgehen, denn Tiere stoßen nun mal an die Grenzen ihrer Gattung und ihre Leben haben nur sehr bedingt eine Geschichte, wie wir sie haben, aber noch als Menschen wenig daraus machen.

    Was ich mir übrigens wünschte, ist, dass Du Dir beim Vortragen Deiner Gedichte viel mehr Zeit ließest. Viel viel mehr.
    Und dann ist es so, dass eigentlich nach dem Ende das Band noch vielleicht ein Drittel der bisherigen Zeit einfach weiterlaufen müsste, denn wenn Du abschaltest, ist die Energie abrupt weg; ich finde das schade. Man bleibt ja eigentlich gern noch in der Energie Deiner Gedichte, Deiner Texte. Wie gesagt aber, ich wünschte mir, dass Du Deinen Worten viel mehr Raum gibst. Ich komme jedenfalls mit dem Vorstellen der Bilder nicht nach. Und das ist schade. – Wenn es Deine Stimme ist, dann ist sie ungewöhnlich schön (wenn sie nur immer natürlich bleibt).

    Alles ist sehr subjektiv, wie Du gemerkt hast. Nimm es bitte auch so.

    Dafür, dass Du Dich schwach und angreifbar empfindest, empfinde ich Dich als eine ganz schön starke Frau :-)

    Liebe Grüße,
    Johannes

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  3. Ich grüße dich herzlich!
    Annehmen ist der erste Schritt zur Heilung!
    DU hast angenommen und nicht verdrängt.
    Heilung darf stattfinden wenn Be-Last-endes „ans Licht gebracht“ wird.
    Durch dein Schreiben holst du deine Sorgen ans Licht – dort dürfen sie sich wandeln…
    Segen dir und eine HERZ-ens-Umarmung.
    M.M.

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  4. Ich bin zufällig auf deinen Blog gestoßen und finde es wunderbar, was du aus deiner Krankheit heraus erschaffst. Ich hoffe, auch dorthin zu kommen. Ich finde mich in vielem wieder, was du schreibst. Das ist schon viel wert. :)

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    1. Ich danke Dir sehr herzlich für Deinen Kommentar. Es bedeutet mir sehr viel zu lesen, dass ich anderen tatsächlich mit meinen Texten/Bildern „etwas geben“ kann. Ich wünsche Dir viel Kraft!
      Herzliche Grüße
      Agnes

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  5. Deine Gedanken berühren mich sehr, weil sie mir Eigenschaften von Dir zeigen, die in unserer oberflächlichen Leistungs- und Konsumgesellschaft wie rare Perlen sind. Gerade feinfühlige, emphatische und selbstreflektierte Menschen leiden unter der sozialen Kälte und Oberflächlichkeit. Damit will ich keinesfalls die Depression verherrlichen oder Usachenbezüge herstellen. Das Leid dieser Erkrankung ist schlimm für die Betroffenen und Angehörigen und niemand ist in irgend einer Weise schuld daran, depressiv zu sein. Doch manchmal scheint es mir, als ob A.löcher gegen Depressionen immun sind, obwohl ich weiß, dass das so nicht stimmt. Wahrscheinlich haben die noch viel mehr verloren, nämlich ihr Menschsein.
    Ich finde Deinen Weg richtig, mutig und auch sehr wichtig für Dich und andere. Er wird ein Mosaiksteinchen sein unter vielen weiteren, die Dein Weg zur Heilung sind! Dafür wünsche ich Dir alles Gute!

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  6. Seelenschmerzen kann man oft körperlich spüren, ich habe trotz physischer Gesundheit mal mehr mal weniger starke Herzschmerzen – klingt kitschig, ist aber so – ein innerliches Ducken kann zu einem äußerlich sichtbaren Kopf senken werden, und wenn man sich richtig schlecht fühlt, ist man oft auch körperlich entsprechend schwach, ist kraftlos und ausgelaugt.

    Körper, Geist und Seele stehen in Wechselwirkung zueinander und die Verbindung von psychischen und physischen Erkrankungen liegt oft sehr eindeutig auf der Hand.

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  7. sorge dich nicht um andere
    denn es tut ihnen nicht weh
    kümmere dich mal nur um dich
    denn du bist jetzt wichtig
    zum reden gehts mit block und kuli
    zu notieren die rede meinung
    agnes, ich denke fest an dich
    die künsterlin als followerin

    herzlichst

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      1. agnes, ich war selber sehr krank und habe manchmal eine vorstellung davon wo es hapern könnte. wir sind uns in einer art etwas ähnlich.

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  8. Hut ab. Toller Blog, schöne Bilder, und sehr anrührend. Das Internet als Ort der persönlichen Psychohygiene – ja! Unbedingt. (Ich spreche gelegentlich davon, meine Bilder ins Internet zu „entsorgen“. Spart Platz ;-) Liebe Grüße vom Dilettanten.

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